Ein Leben für die Erinnerung an das Exil
"Niemand muss sich genieren, wer von der Zeitschrift Exil noch nie gehört hat. Dem Autor ging es nicht anders, bis er Edita Koch an ihrem Stand auf der Frankfurter Buchmesse erstmals getroffen hat. Koch und Exil sind sozusagen identisch: Sie ist Redakteurin, Verlegerin und Herausgeberin in einem, und das seit 42 Jahren.
Koch befindet sich selbst im (inzwischen freiwillig gewählten) Exil und kann nicht von der Beschäftigung mit dem Exil lassen.
Bis zu 160 Seiten umfasst jede Ausgabe. Die Texte entstammen einem Netzwerk von Autoren, das sie über die Jahrzehnte gesponnen hat. Die Hefte verfolgten kein bestimmtes Unterthema, sondern sollen eine gute Mischung präsentieren und wissenschaftlich fundiert sein. Es habe auch Vorteile, "wenn Sie völlig unabhängig arbeiten", sagt Koch.
Als Edita Koch ihr Mammutwerk begann, waren viele der exilierten Schriftstellerinnen und Schriftsteller noch am Leben. Koch besuchte sie in New York und London. Die Autoren von damals sind längst tot. Der Schriftwechsel mit Ihnen liegt jetzt im Keller ihrer Wohnung. So wie Koch selbst sind auch ihre Autoren älter geworden, "Viele sind schon über 80" sagt Koch. Und auch die Leserschaft altert. "Solange es geht, mache ich weiter", sagt Koch, und: "Es gibt immer Mittel und Wege." Das Thema sei ja inzwischen noch aktueller als damals in den 1980er Jahren geworden, mit ganzen Völkern, die ins Exil gezwungen würden."
Klaus Hillenbrand TAZ Berlin 9. Januar 2024
"Die Zeitschrift EXIL ist seit 1981 auf dem Markt. Ihr Themenspektrum ist breit. Die Analysen, die sie präsentiert, zehren nicht aus der Perspektive eines einzigen, alle anderen dominierenden Faches, sondern sind durchweg multidisziplinär angelegt. Behandelt werden von Wissenschaft und Publizistik bisher vernachlässigte Schicksale von NS-Verfolgten. Sichtbar werden Spuren der Emigration. Es geht um Vertriebene, um Antisemitismus und Judenmord ebenso wie um Entwicklungen nach dem Krieg, um Erfahrungen mit den Spielarten des europäischen Faschismus, um Erinnerung, Reflexion und Strategien der Bewältigung. Der Focus liegt auf den 1930er-Jahren, ohne die Geschichten davor und danach zu vernachlässigen. Betreut wird Exil von der Germanistin, Judaistin und Slawistin Edita Koch, die bis 2009 das Suhrkamp Archiv geleitet hat. Heute ist sie Verlegerin, Herausgeberin und Autorin in einer Person.
Der 42. Jahrgang des Exils steckt, wie die vorangegangenen Ausgaben auch, voller interessanter Themen und aufschlussreicher Geschichten. Lesbar geschrieben und fern von Bedeutsamkeitsgesten, sollte die Zeitschrift nicht allein die Aufmerksamkeit von Experten finden, sondern auch das Interesse eines breiteren Lesepublikums wecken, dessen Bereitschaft, sich über den Nationalsozialismus und dessen bis heute reichenden Konsequenzen zu informieren, noch nicht erloschen ist."
Professor Jens Flemming Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZVG 72 (1) 2024
Zeitschrift "EXIL"
Bühne der emigrierten Autoren
Thomas Mann oder Anna Seghers sind die Ausnahmen. Für die meisten vor den Nazis geflüchteten Schriftsteller interessierte sich nach dem Krieg kaum jemand. Ihnen widmet sich Edita Koch mit der in Frankfurt publizierten Zeitschrift "Exil".
Die Namen der meisten Emigranten sind völlig in Vergessenheit geraten. Vielmehr: Sie wären es, würde nicht eine Frankfurter Verlegerin die politischen Flüchtlinge aus Hitler-Deutschland seit 40 Jahren in ihrer Zeitschrift "Exil" in Erinnerung rufen. Edita Koch gibt bis heute zweimal im Jahr eine neue Ausgabe dieser wissenschaftlichen Zeitschrift heraus, das Jubiläumsheft kommt gerade aus dem Druck und kann bei ihr bestellt werden.
Als die Nummer 1 im November 1981 erschien, firmierte noch ihr Mann Joachim H. Koch als Herausgeber. Er starb ein Jahr später, worauf Hans Sahl, Schriftsteller, Literaturkritiker und einer der wichtigsten Vertreter der deutschen Exilliteratur, in einem Nachruf schrieb: "Joachim Koch gehörte zur Bruderschaft der guten Menschen." Sahl, wäre er nicht 1993 in Tübingen verstorben, hätte Edita Koch, die an die 80 Ausgaben von "Exil" alleinverantwortlich geplant, herausgeben und vertrieben hat, in diesem Jubiläumsjahr wohl ähnlich euphorisch gelobt."
Nur wenige merkten schon damals, wie notwendig in einer Zeit der Verdrängung eine Fachzeitschrift über das Exil der deutschen Intelligenzia war: Rolf Michaelis von der "Zeit", der Redakteur Will Schaber von der New Yorker Emigranten-Zeitschrift "Aufbau" - und bald die Schriftsteller und Künstler, die ins Exil gegangen und deren Karrieren vernichtet waren. Sie vor allem begeisterten sich an der neuen Zeitschrift, von der sie eine Präsentation ihres Schaffens in Deutschland, aber auch bei Lesern im Ausland erhofften.
Edita Koch gelang es tatsächlich, zweimal jährlich eine Ausgabe herauszubringen. 1988 schrieb Will Schaber im "Aufbau": "Das zähe Fortleben des kleinen Magazins überrascht die Pessimisten immer wieder."
Nach und nach stieg die Auflage von "Exil" und erreichte zeitweise die Höhe von 1500 verkauften Exemplaren. "Ohne die Unterstützung der Exilanten in New York hätte ich es nicht geschafft", sagt Koch.
"Sie gehört zu den Stillen im Lande", hieß es 1995 in dieser Zeitung über Edita Koch. "Doch ohne ihr selbstloses Engagement wäre dieses Land ärmer." Das gilt bis heute. Zum Glück haben das mittlerweile einige Leute erkannt. 1993 hat ihr der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker das Bundesverdienstkreuz verliehen."
Hans Riebsamen
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.01.2022